Was ist eigentlich eine Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS)?

 

Manchmal begegnen wir Menschen, die wir eigentlich nicht verstehen. Oft liegen psychische Krankheiten aus dem Rahmen der Bipolaren Störungen vor. Eine wollen wir uns heute mal gesondert anschauen. 

 

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung zeichnet sich dadurch aus, dass die Betroffenen eine vielfältige und sehr wechselhafte Symptomatik aufweisen. Kriterien sind laut ICD10 und DSM5 (das sind Kataloge, die weltweit zur Abgrenzung verschiedener Krankheitsbilder genutzt werden) vor allem instabile Beziehungen zu anderen Menschen, deutlich erhöhte Reizbarkeit (die oft zu unkontrollierbaren, lang andauernden Wutausbrüchen und mitunter auch körperlicher Gewalt führt) und eine gestörte Identität: Betroffene wissen oft gar nicht mehr, wer sie sind und fühlen eine innere Leere und Sinnlosigkeit.

 

Hinzu kommen eine große Wechselhaftigkeit in Bezug auf Lebensziele oder Pläne (auch kurzfristige); oft schwänzen Borderliner/innen die Schule, brechen Maßnahmen wie etwa eine Ausbildung oder Therapie ab, verlassen einen Ort (wie eine stationäre Einrichtung) fluchtartig, wechseln überdurchschnittlich häufig ihre Arbeitsstelle oder werden (meist ohne für sie ersichtlichen Grund) entlassen.

 

Auch heftige Stimmungsschwankungen, die in depressiven Phasen münden können, Panikattacken oder (z.T. irrationale) Angstzustände können ebenfalls Teil dieser Störung sein. Dazu gesellt sich nicht selten eine schwere Neurose, die sich als Verhaltensstörung einhergehend mit komplexen Wahnvorstellungen oder Zwangsgedanken (z.B. „Niemand liebt mich!“) äußert.

 

Das gestörte Sozialverhalten von BPS-Betroffenen kann das gemeinschaftliche Zusammenleben schwer bis unmöglich machen. Durch die Emotionsregulationsstörung und damit einhergehende Ausbrüche von impulsiven Handlungen (z.B. Schreien) neigen Menschen in der Umgebung von Betroffenen häufig dazu, in ihnen das „Böse in Person“ zu sehen und sich von ihnen abzuwenden, obwohl diese schlicht nicht gelernt haben, ihren Gefühlen auf andere Weise Ausdruck zu verleihen.

 

Da auch der Empfangskanal für Emotionen anderer (Empathiefähigkeit) und die Fähigkeit, anhand des Verhaltens oder körperlicher Äußerungen die Gefühlslage des Gegenübers zu erkennen (Mentalisierung), gestört sind, fällt es den sogenannten „Borderliner/innen“ zusätzlich schwer, andere zu verstehen und deren Verhalten einordnen zu können.

 

Sie neigen zu sogenanntem Schwarz-Weiß-Denken (entweder jemand liebt dich oder er hasst dich abgrundtief, etwas dazwischen gibt es nicht) und sind nicht dazu in der Lage, „emotionale Zwischentöne“ auszumachen. „Ich mag dich zwar, aber in manchen Situationen fällt es mir sehr schwer, mit deinen Gefühlsausbrüchen umzugehen!“ – dies ist ein Satz, den eine angehörige Person zu jemandem, der an Borderline erkrankt ist, sagen könnte. Solche Aussagen kann die betreffende Person jedoch nicht vollständig erfassen, es entstehen oft fatale Missverständnisse.

 

Borderliner/innen finden keinen Halt in sich selbst – das ist für Außenstehende häufig schwer nachvollziehbar, weshalb sie die Symptome meistens nicht als den Schrei nach Hilfe einordnen können, der eigentlich dahinter steckt, sondern sie nur die „bösartige“ Reaktion der Betroffenen wahrnehmen, sie als hinterhältig oder manipulativ missinterpretieren und sich folglich von ihnen abgrenzen.

 

Ebenso wie die Abgrenzung kann zu große Nähe ein Faktor sein, der sich negativ auf die Gefühle und Verhaltensweisen von Betroffenen auswirkt. So kann es vorkommen, dass sie Menschen von sich weg stoßen, weil sie sich eingeengt oder kontrolliert fühlen (Paranoidität), doch sobald die betreffende Person den geforderten Abstand einnimmt, fühlen sie sich allein gelassen, weil diese sich von ihnen abzuwenden scheint. Häufig entsteht ein Auf und Ab von Idealisierung und Entwertung der Bezugspersonen, um zu „testen“, mit welchem Verhalten man die Beziehung vermeintlich retten kann. Hier ist ein verzweifeltes Bemühen erkennbar, die Bezugspersonen nicht gänzlich zu vergraulen, um nicht den Halt zu verlieren, den Borderliner/innen sich selbst nicht geben können.

 

Einsamkeit halten sie kaum aus. Wenn Menschen sich immer wieder abgewiesen fühlen oder Beziehungen in die Brüche gehen, kann es vorkommen, dass diese starke Zweifel an noch so engen Verbindungen mit Menschen und Misstrauen diesen gegenüber entwickeln und sich mit der Zeit immer mehr zurückziehen. Einerseits, um sich selbst vor weiteren Enttäuschungen und dem Gefühl, nicht geschätzt und anerkannt zu werden, zu schützen.

 

Bei einer BPS kommt zum anderen noch hinzu, dass sie auch ihr Umfeld vor sich selbst – nämlich vor immer wiederkehrenden Stresssituationen, ausgelöst durch ihre eigene, unkontrollierte Wut – bewahren möchten. Droht die Beziehung, zu kippen, neigen Betroffene in vielen Fällen dazu, Selbstmord-Drohungen auszusprechen, um den Bezugspersonen ihre verzweifelte Lage deutlich zu machen. Halten sie die innere Spannung nicht aus, die sich durch die ständige Wut aufbaut, greifen viele Borderliner/innen zu Methoden der Selbstverletzung (z.B. Schneiden, ugs. „Ritzen“), um ihren heftigen Emotionen ein Ventil zu geben. Oft neigen sie auch dazu, sich in gefährliche Situationen zu bringen oder provozieren Unfälle (beabsichtigt oder unbeabsichtigt), etwa durch rasantes Autofahren oder Geschlechtsverkehr ohne Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten.

 

In besonders ausgeprägten Formen können BPS-Betroffene an einer dissoziativen Störung leiden. Dissoziativ bedeutet soviel wie „getrennt, vereinzelt“. Sie äußert sich beispielsweise durch Wahnvorstellungen (z.B. Paranoidität), das heißt, sie nehmen Dinge wahr (z.B. durch sehen oder hören), von denen sie nicht sicher sagen können, ob diese wahrhaftig sind. Auch Erinnerungslücken oder Gedächtnisverlust (Amnesie) können ein dissoziatives Symptom darstellen. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die Depersonalisation – damit ist gemeint, dass die Betroffenen sich nicht mehr selbst erkennen und wahrnehmen (Identitätsstörung) – ihr Körper und ihr Geist sind „voneinander getrennt“. Sie können ein Gefühl entwickeln, als gehörten bestimmte Teile ihres Körpers nicht zu ihnen.

 

Diese Form der Störung führt langfristig zu der bereits angesprochenen „inneren Leere“. Auch hier besteht das Risiko, dass Betroffene zu selbstverletzenden Maßnahmen oder lebensschädigenden Mitteln greifen, um diese innere Leere (die oft auch als geradezu lähmende Langeweile wahrgenommen wird) zu füllen und sich selbst wieder zu spüren. Beispiele hierfür können Drogenkonsum, Medikamentenmissbrauch, exzessives Geldausgeben, Diebstahl, das sogenannte „Binge-Eating“ (Völlerei) oder außergewöhnliche und meist schmerzhafte Sexualpraktiken sein.

 

Das Verzwickte an einer BPS ist, dass die Betroffenen es nicht nur nicht so meinen, sondern selbst maßgeblich darunter leiden und sogar versuchen, diese intensiven Gefühle zu kontrollieren und sich aus ihren Problemen zu befreien. Durch die mangelnde Selbstregulation gelingt dies jedoch nicht – sie bewegen sich in einem Teufelskreis von einander bedingenden Problematiken.

 

Ursachen

 

Das beschriebene Störungsbild ist laut der Wissenschaft zurückführbar auf Defizite im limbischen System, einem Teil des Gehirns, der sozusagen die anatomische Basis für emotionale Reaktionen bildet. Diese neurobiologische Fehlbildung Fehlbildung entsteht bereits im frühesten Kindesalter (häufig innerhalb der ersten zwei Lebensjahre), bedingt durch äußere Einflüsse.

 

Die Ursachen können sehr unterschiedlich sein, doch sehr häufig (in etwa 70%) geben die Befragten an, einen sexuellen Missbrauch erlebt zu haben. Dieser oder andere Einflüsse, die Traumatisierungen hervorrufen (wie etwa sehr harte Bestrafungen oder die Trennung der Eltern), führen häufig zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), auf die ich in einem anderen Blogartikel näher eingehe. Es kommt zu einer Invalidierung der Betroffenen, das heißt, die Gefühle oder Bedürfnisse des Kindes werden dauerhaft nicht angemessen gewürdigt, ernst genommen, missachtet oder sogar verdreht.

 

Ein Handlungs-Teufelskreis entsteht: Das unangemessene Verhalten des Kindes (wie etwa starke Wutausbrüche) und das Verhalten der oftmals heillos überforderten Eltern (die dann auch häufig zu unangemessenen Reaktionen neigen) bedingen sich gegenseitig. So lernt das Kind nicht, wie es Emotionen korrekt benennen, regulieren oder abbauen kann. Dies führt dazu, dass diese verletzten Kinder selbst als Erwachsene häufig nicht dazu in der Lage sind, sich auf die eigenen Gefühle zu verlassen und diesen zu vertrauen. Die Intuition ist gestört, der Selbstwert und das Selbstbewusstsein fehlen, die Angst vor dem nächsten Wutausbruch ist allgegenwärtig.

 

Foto von Chalo Garcia auf Unsplash

 

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