Wie äußert sich eigentlich die pathologische Selbstbezogenheit? Muss das nur im Glänzen nach außen sein oder gibt es auch andere Abwehrmechanismen des selbstunsicheren Inneren Kerns?
In einer tiefenpsychologisch arbeitenden Coachingpraxis begegnet man vielen Menschen, die davon überzeugt sind, dass sie nie etwas falsch gemacht haben. Ihr ganzes Leben lang.
Es gibt eine Reihe von psychopathologischen Mechanismen, die dem normalen, "fehlerhaften" (das sind wir alle, so arbeitet die menschliche und sogar biologisch - evolutionäre Entwicklung!) Menschen die Schuld nehmen und ihn in ein Unschuldslamm verwandeln:
- Perfektionismus
- Ichhaftigkeit
- Selbstwertüberhöhung
- Narzissmus
- Selbstempathie (die ist prinzipiell nichts Schlechtes, muss aber durch die Fremdempathie ergänzt werden)
- Wehleidigkeit (Hypochondrie bis bipolare histrionische Störungen)
- Sentimentalität
- Selbstmitleid
- Abgrenzung
- Lebenslügen
- Selbstbetrug
- innere Widersprüchlichkeit.
Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Alle diese Faktoren sind verwandt miteinander, bedingen einander und überschneiden sich auch teilweise. Sie nehmen die Verantwortung und blockieren den Menschen in der Makellosigkeit, so dass er zu Selbstkorrektur und zuvor noch zu Selbstreflexion nicht in der Lage ist.
Alle diese Ingredienzien sind jedenfalls zur artgerechten Aufzucht eines makellosen Unschuldslamms hilfreich. Das Unschuldslamm wiederum schreit psychodynamisch nach einem Schuldigen. Denn einer muss ja schuld sein, wenn auch niemals – niemals! – man selber es ist. Oft ist es der Partner oder die Partnerin, das eigene Kind, die Eltern, aber auch Staat / Wirtschaft / Gesellschaft können hier eingesetzt werden. Oder es ist noch subtiler und Ideologien treten an die Stelle des mangelnden SelbstWERTgefühls.
Was mache ich jetzt aber praktisch, wenn mir ein solches Unschuldslamm über den Weg läuft?
Natürlich hat das auch was mit mir zu tun und ich darf mich fragen, warum es in meinem Leben überhaupt auftritt. Warum übernehme ich beispielsweise die Rolle des Bösewichts, des Schuldigen? Lauert da eine eigene, vielleicht sehr alte Schuld in meinem Unterbewusstsein? Konnte ich beispielsweise die psychisch kranke Mutter, den psychisch kranken Vater nicht heilen oder zu einem glücklichen, zufriedenen Menschen machen? Habe ich anderweitig schwer verdauliche Schuld auf mich geladen? Möchte ich diese Schuld nun quasi abtragen, indem ich der Schuldige in meiner Beziehung werde?
Diese Fragen gilt es behutsam zu klären, sinnvollerweise mit professioneller Unterstützung. Denn eines ist klar: Für beide Partner ist die Klärung des Unbewussten dringend ratsam. Beide müssen / dürfen wieder in die Handlungsfähigkeit durch Übernahme von Eigenverantwortung gehen. In einer bestehenden Partnerschaft kann es zudem sinnvoll sein, eine zeitweise Trennung - maximal aber für vier bis sechs Wochen - von "Tisch und Bett" durchzuführen; parallel wird dann professionell "aufgearbeitet".
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