Verletze dich nicht selbst

 

Die selbstverletzenden Ausdrucksformen können sehr vielfältig sein: Das Spektrum reicht von einem selbst inszenierten, deutlich übertriebenen Arbeitspensum über den erhöhten Konsum von Rausch- und Betäubungsmitteln bis hin zu aktiven Selbstverletzungen, zum Beispiel in Form von Verbrennungen, Schnittwunden, Quetschungen oder Prellungen.

 

Das mag Unbeteiligten womöglich etwas unverständlich erscheinen, doch wir müssen verstehen, dass wir alle in großer Not alles Erdenkliche tun würden, um uns von unseren Schmerzen abzulenken – und sei es auch dadurch, dass wir einen anderen kleineren und kontrollierbaren Schmerz selbst erzeugen. Sicherlich finden wir hier noch vielfältige und subtilere Formen der Selbstverletzung und Selbstschädigung, wie zum Beispiel durch ein selbst inszeniertes Beziehungsdrama oder berufliche Konflikte.

 

Während die ersten Analytiker in solchen Fällen noch von masochistischen Tendenzen ausgingen, verstehen wir selbstverletzende Impulse heute als Ausdruck der Hilflosigkeit auf der Suche nach Selbstentlastung. Nur eine sehr geringe Minderheit verspürt durch Selbstverletzungen Erregung, die absolute Mehrheit der Betroffenen sucht nach Wegen zur Entlastung. Die auftretenden inneren Spannungen können von traumatisierten Menschen oft nicht adäquat abgeführt werden.

 

Wenn wir Selbstverletzungen stoppen wollen, benötigen wir Handlungsalternativen. Hierfür bestehen in der Regel zwei Probleme: Einerseits haben sich die selbstverletzenden Handlungsmuster bereits als feste Rituale gewissermaßen einprogrammiert, und andererseits erscheinen den Betroffenen aufgrund dieser Tatsache die Handlungsalternativen als nur wenig interessant. Daher ist ein paralleles Vorgehen äußerst wichtig: Wir benötigen Techniken, um die selbstverletzenden Rituale zu stoppen, und zusätzlich heilsame Techniken, die wir dann in diese Situationen einbringen.

 

Selbstverletzende Impulse unterbrechen

 

Es handelt sich hier um Maßnahmen für den Notfall. In der Krise ist der Fokus unserer Aufmerksamkeit sehr stark eingeengt. Deshalb sollten die Maßnahmen möglichst einfach, schnell durchführbar und ebenso schnell verfügbar sein.

 

Die Grundlage dieser Techniken besteht in der Notwendigkeit, den eingeengten Fokus wieder zu öffnen und uns damit gewissermaßen wieder zur Besinnung zu bringen. Daher benötigen wir relativ stark wirkende Reize.

 

Wahrscheinlich müssen wir hier ein wenig experimentieren, um den für uns passenden Reiz zu finden, der in der Lage ist, unseren inneren Film zu unterbrechen. Als recht wirkungsvoll haben sich hier folgende Techniken erwiesen: Wir können zum Beispiel Eiswürfel nutzen, die wir uns in einer Plastiktüte so lange auf den Unterarm legen, bis es schmerzt. In einigen Situationen wahrscheinlich ebenso hilfreich ist kaltes Wasser, das wir uns entweder ins Gesicht spritzen, über die Hände und Unterarme laufen oder als Dusche auf den ganzen Körper einwirken lassen. Eine Technik hat sich allerdings als ganz besonders hilfreich herausgestellt: das Trauma-Gummi.

 

Sobald wir Spannungen in uns wahrnehmen, die sich zu selbstverletzenden Impulsen steigern könnten, ziehen wir kräftig am Gummiring. Beim Loslassen achten wir darauf, dass wir die Innenseite unseres Handgelenks treffen, da diese Stelle besonders schmerzempfindlich ist.

 

Übung: Das Flash-Gummi

 

Um aus einem Flashback zu entkommen, können wir ein Flash-Gummi benutzen. Das ist ein etwas breiterer und kräftiger Gummiring, den wir am Handgelenk tragen. Wenn wir merken, dass wir wieder abdriften, sich zwanghaftes Grübeln oder Flashbacks ankündigen oder bereits da sind, dann ziehen wir kräftig an dem Gummi und lassen es auf die sehr empfindliche Innenseite unseres Handgelenks flitschen. Der einsetzende Schmerz bringt uns schnell wieder zurück in das Hier und Jetzt.

 

Auch wenn wir vielleicht nicht unter ausgeprägten Flashbacks leiden, können wir diese Übung mit dem Flash-Gummi zur Rückführung in das Hier und Jetzt gut nutzen, da die menschliche Neigung zum Grübeln und die Tendenz, zu viel über Zukünftiges und Vergangenes nachzudenken, generell von uns gemildert werden muss.

 

Durch eine regelmäßige Wiederholung dieser und ähnlicher Techniken konditionieren wir uns für wichtige Fähigkeiten zur Selbststeuerung. Nachdem es uns gelungen ist, zumindest kurze Unterbrechungen zu erreichen, müssen wir in einem weiteren Schritt sofort aktiv werden. Wenn die Neigung und der Impuls zu Selbstverletzungen sehr stark oder die anstürmenden Erinnerungen sehr mächtig sind, ist es dringend angeraten, sofort den Ort zu verlassen, wo wir uns aktuell befinden. Anschließend suchen wir entweder einen heilsamen Kontakt zu vertrauten Menschen oder den heilsamen Kontakt zu uns selbst.

 

Wenn wir vorher unsere Meditationspraxis gefestigt haben, können wir diese nun in Krisenzeiten sehr gut für uns einsetzen, um mit den auftretenden psychosomatischen Spannungen sowie den Erinnerungen, Gedanken und Emotionen auf konstruktive und heilsame Weise umzugehen. Dies hat allerdings nur dann eine echte Chance, wenn wir vorher regelmäßig geübt haben. Deswegen müssen wir die entsprechenden Techniken unbedingt regelmäßig außerhalb unserer Krisenzeiten trainieren.

 

Die nächsten therapeutischen Schritte

 

Wenn wir die bisher dargestellten Vorgehensweisen gut beherrschen, spüren wir eine deutliche Linderung unserer Hilflosigkeit. Im Verlauf unserer regelmäßigen Übungen verfügen wir zunehmend über mehr Ressourcen zur Selbstentlastung und Selbststeuerung.

 

Auf diesem Fundament können wir nun mit mehr Sicherheit im therapeutischen Prozess fortfahren. In der Regel erfolgt nun der Zugang zum ursprünglichen Trauma. Je nach Persönlichkeitsstruktur sind Distanzierungstechniken hierfür eine Hilfe. Wir können unter Anleitung und Begleitung eines erfahrenen tiefenpsychologischen Coachs oder Therapeuten verschiedene Möglichkeiten der Visualisierung umsetzen: Mit geschlossenen oder auch mit geöffneten Augen können wir uns vorstellen, wie das Geschehene nicht in uns, sondern vor uns, gewissermaßen wie ein Theaterstück oder ein Kinofilm abläuft. Dabei können wir den Handlungsablauf sehr gut kontrollieren. Wir achten permanent darauf, dass die erinnerten Geschehnisse immer direkt vor uns bleiben und nicht in unser Inneres aufgenommen werden. So können wir uns vom Geschehen gegebenenfalls räumlich und damit auch psychisch und emotional distanzieren. Zusätzlich können wir den Film oder das Theaterstück jederzeit unterbrechen. Diese Unterbrechungen dienen sowohl der Aufrechterhaltung der psychischen Stabilität als auch der kritischen Würdigung unserer Reaktionen.

 

Dabei ist durch den begleitenden Coach besonders auf die Opferdynamik zu achten. Jede Form der Übernahme von Schuld sollte achtsam und kritisch ergründet werden. Darüber hinaus sollte die Stopp- und Pausentaste oft genutzt werden. Durch die häufigen Wiederholungen kann sich diese sehr wichtige Einflussgröße in uns festigen, so dass wir sie auch in schwierigen Phasen schneller und effektiver aktivieren können.

 

Ein wichtiger Prozessschritt bei alledem ist das innere, eigene Zugeständnis: "Ich brauche Hilfe und suche mir diese aktiv!" Allein sind Emotionen dieser Art schwer bis unmöglich zu bewältigen. Bitte wende Dich an uns und vereinbare einen Termin, damit wir gemeinsam schauen können, was die Ursachen Deiner starken und schmerzenden Emotionen sind: KONTAKT UND TERMIN. 

 

 

Photo by Zohre Nemati on Unsplash

 

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