Manchmal bleiben wir zu lange. Manchmal ändern wir nichts. Manchmal haben wir einfach Angst. - Co-Abhängigkeit bei Beziehungsabhängigen gibt es gar nicht selten. Aber wie äußert sie sich und wie kannst Du sie erkennen?
Die drei Phasen der Co-Abhängigkeit
Wir können hier eine Beschützer-Rolle, eine Kontroll-Rolle und eine Ankläger-Rolle unterscheiden.
1. Die Beschützer-Rolle:
Hier zeigen wir Mitleid, das sich deutlich von Mitgefühl unterscheidet. Vielleicht sehen wir in unserem Gegenüber vor allem die Schwäche und die Schutzbedürftigkeit. Unbewusst beschützen wir womöglich unsere eigenen Probleme, indem wir uns um die Probleme des anderen kümmern, der Arme benötigt doch unbedingt unsere Hilfe. Diese Form des Schutzes bedeutet, dass wir uns nicht unseren eigenen Dämonen stellen müssen.
2. Die Kontroll-Rolle:
In dieser Phase versuchen wir den anderen zu ändern. Wir wollen ihn kontrollieren und reglementieren. Auch auf diese Weise versuchen wir unbewusst, unsere eigenen tief verborgenen Probleme zu kontrollieren. Weiterhin delegieren wir unsere Probleme an den anderen, der sich dafür natürlich nahezu perfekt anbietet.
3. Die Ankläger-Rolle:
Zu den schmerzlichsten und am schwersten auszuhaltenden Emotionen gehört die Hilflosigkeit. Anstatt also diesen Schmerz wahrnehmen zu müssen, beginnen wir anzuklagen. Wir fühlen uns so sehr im Recht. Der andere ist ja so offensichtlich schuld an der gesamten Misere, dass wir in diesem Muster eine sehr stabile Rolle für uns gefunden haben.
Wie komme ich da jetzt möglichst unbeschadet raus?
1. Erkennen
Eigentlich sollte es doch einfach sein zu erkennen, dass wir leiden und woher der Schmerz rührt. Co-Abhängigkeit bedeutet jedoch, dass wir zusätzlich zu unseren eigenen Anhaftungen noch mit den Anhaftungen anderer Menschen konfrontiert sind. Mit Haut und Haaren stecken wir tief im zwischenmenschlichen Miteinander fest. In solchen Situationen verlieren wir nur allzu oft völlig den Überblick.
Viele von uns können über eine sehr lange Zeit in ihrem eigenen Leidenskarussell verharren, ohne eine Möglichkeit zum Ausstieg zu erkennen. Leider müssen oft erst Katastrophen passieren, bis eine Änderung möglich wird. Der Frosch schwimmt im lauwarmen Wasser des Kochtopfes, das Wasser wird immer heißer und heißer, doch obwohl er es könnte, springt der Frosch nicht heraus. Dieser dumme Frosch existiert im Kopf von uns allen: Okay, es ist schwer, aber ein bisschen geht noch. Uns wird immer heißer, die Temperatur ist schon bei 75 Grad, aber 76 Grad schaffen wir auch noch und dann können wir auch noch 77 Grad überleben.
Hier drängt sich massiv die Frage nach unserer Schmerzgrenze auf. Unser unklarer Verstand führt uns gern geschickt in die Irre: Der Kinder zuliebe bleibe ich noch. Wenn ich gehe, dann wird alles noch schlimmer. Wenn dann etwas passiert, bin ich schuld. So wichtig es auch ist, die Verantwortung für sich zu übernehmen, so unsinnig ist es, die Schuld auf sich zu nehmen. Der erste wichtige Schritt besteht darin zu erkennen, dass wir durch unser Verhalten die unheilsame Situation auch noch fördern. Erst unsere Anstrengung, Anstrengung, unser Verharren an unserem Platz ermöglicht es dem System, sich genau in der Weise zu stabilisieren, wie es ist.
Tatsächlich tragen wir alle etwas dazu bei, damit ein desolates System aufrechterhalten bleibt. Das Problem kann nur deshalb fortbestehen, weil alle ihre Rollen einnehmen und nach einem inneren Drehbuch funktionieren. Jeder Figur kann an ihrem Platz etwas verändern und bewirken – und sei es auch dadurch, ihren Platz zu verlassen. Verlässt nur eine Person ihr altes Rollenmuster, müssen sich auch alle anderen darauf einstellen und ebenfalls etwas ändern, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Wir können vielleicht keine Menschen ändern, aber wenn wir achtsam und verantwortungsbewusst auf unsere Position schauen und ebenso auf die Position unserer Kinder, dann ergeben sich daraus automatisch weitere Veränderungen.
2. Akzeptieren
Der Begriff Akzeptanz erzeugt oft Missverständnisse. Nicht damit gemeint ist die Akzeptanz im Sinne einer passiven Hinnahme von Missständen. Eine Situation in adäquater Weise zu akzeptieren könnte zum Beispiel bedeuten, dass wir damit aufhören zu jammern, zu lamentieren, zu grübeln, Selbstzweifel zu kultivieren und anderen unheilsamen und destruktiven Verhaltensweisen nachzugehen.
Das erste therapeutische Grundprinzip dient uns auch dabei immer wieder als Richtschnur: Stoppe Unheilsames, mache es nicht noch schlimmer! Die Wirkung einer solchen richtig verstandenen Akzeptanz ist unter anderem ein sehr großer Zugewinn an Energie, die vorher von uns verschwendet wurde. Die Situation auf diese Weise zu akzeptieren, bedeutet also, dass uns damit wesentlich mehr Ressourcen zur Verfügung stehen, um das ursprüngliche Problem anzugehen.
3. Erforschen
Trotzdem werden wir auch bei diesem dritten Schritt nicht in blinden Aktionismus verfallen. Nachdem wir unsere Situation klar erkannt haben und weitere unheilsame Aktivitäten einbremsen und stoppen konnten, nehmen wir uns nun noch etwas Zeit und erforschen alle notwendigen Aspekte. In dieser Phase sollten wir jede Hilfe annehmen, die sich zu unserer Unterstützung anbietet. Wir müssen also selbst nicht das Rad neu erfinden, sondern können auf vielfältige Erfahrungswerte zurückgreifen, die andere Menschen vor uns sammeln konnten. Besonders geeignet sind Formen der Unterstützung, in deren Fokus nicht nur unsere Schwächen, sondern auch unsere Stärken stehen.
Idealerweise bieten sich hierfür Therapieformen an, die an unseren Ressourcen orientiert arbeiten und auch spirituelle Quellen nutzen. Der Weg, der sich hier vor uns abzeichnet, wird kein leichter sein, wir benötigen viel Kraft und Klarheit dafür.
4. Nicht-Identifizieren
Der vierte Schritt des Nicht-Identifizierens bezieht sich nun auf einen Schritt in die Aktivität hinein. Generell werden wir nicht nur Unheilsames beenden, sondern aktiv auch Heilsames trainieren, fördern und stabilisieren.
Zuerst werden wir die Klischees aufgeben, die mit unseren Rollen verbunden sind. Wenn wir in uns und in den Situationen zum Beispiel unsere Helfer- und Beschützerrolle, die Kontroll- oder Ankläger-Rolle erkannt haben, verdeutlichen wir uns:
- Ich bin kein Helfer, vielleicht verhalte ich mich nur oft so.
- Ich bin kein Beschützer, vielleicht verhalte ich mich nur oft so.
- Ich bin kein Kontrolleur, vielleicht verhalte ich mich nur oft so.
- Ich bin kein Ankläger, vielleicht verhalte ich mich nur oft so.
Nach diesen vier Schritten - DANACH! - kommt die Entscheidung: WILL ich weiterhin diese Beziehung leben? Lässt sie sich verändern, indem beispielsweise ich mich verändere?
Photo by Almos Bechtold on Unsplash
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