Die Palme
Durch eine Oase ging ein finsterer Mann; er hieß Ben Sadok. Er war so finster und böse in seinem Charakter, dass er nichts Gesundes und Schönes sehen konnte, ohne es zu zerstören oder zu verderben. Am Rand der Oase stand eine junge Palme im besten Wachstum. Dieser Baum stach dem finsteren Mann in die Augen. Er nahm einen schweren Stein und legte ihn der jungen Palme mitten in die Krone. Mit einem bösen Lachen ging er danach weiter.
Die junge Palme schüttelte und bog sich und versuchte, die schwere Last abzuschütteln. Vergebens. Zu fest saß der Stein in ihrer Krone.
Da krallte sich der junge Baum tiefer in den Boden und stemmte sich gegen die steinharte Last. Er senkte seine Wurzeln so tief in den Boden, dass sie eine verborgene Wasserader erreichten. So konnte die Palme genügend Wasser erhalten.
Sie wuchs und stemmte ihren Stamm und ihre Krone so kräftig gegen den Stein, dass sie gewaltig wuchs und über jeden Schatten hinausragte. Das Wasser aus der Tiefe und die Sonne aus der Höhe machten eine königliche Palme aus dem jungen Baum.
Nach vielen Jahren kam Ben Sadok wieder, um nach der Palme zu sehen und glaubte, sie wäre zum Krüppelbaum verwachsen. Aber Ben Sadok suchte vergebens.
Da senkte die stolze große Palme ihre Krone, zeigte den Stein und sagte: „Ben Sadok, ich möchte dir danken. Die Last, die du mir gegeben hast, machte mich stark und kraftvoll.“
Ben Sadok ging beschämt nach Hause.
Unter unseren Klienten gibt es Menschen, die entsetzliches Leid erfahren haben, zum größten Teil bereits in der Kindheit. Manches klingt eher nach einem Horrorfilm als nach der Geschichte eines real existierenden Menschen. Und doch ist es wahr und doch haben diese Menschen überlebt. Anders kann man das gar nicht nennen!
Vor diesen Menschen empfinde ich eine noch höhere Achtung als vor anderen. Sie weisen oft eine Tiefe auf, die mich immer wieder neu beeindruckt. Eine Stärke und Empfindsamkeit für das Leid (anderer), die absolut außergewöhnlich sind. Kurz, sie sind etwas ganz Besonderes!
Und doch leiden viele unter ihrer Vergangenheit und / oder Gegenwart. Hier stelle ich gerne die Frage, was / wer sie denn ohne all das Leid geworden wären. Wären sie denn tatsächlich lieber "ganz normale" Leute oder nicht doch lieber sie selbst: Einmalige Individuen, die auf ihrem Weg so viel gelernt haben: Über sich selbst, über andere Menschen, über tiefste Gefühle, vielleicht schon über Vergebung und vielleicht auch über Persönlichkeitswachstum!
Und dann, nach all der Bearbeitung, Aufarbeitung, dem Lernen von Methoden zur Selbsthilfe, manchem Seminar und mancher langen Therapie, machen sich nicht selten diese Menschen auf, um anderen zu geben: ihre ganz besondere Persönlichkeit, ihre Erfahrungen, ihr Wissen um Schmerz und Leid, ihre Demut und letztlich einen Weg, um all dem zu entkommen und im Personenkern wirklich und wahrhaftig zu heilen!
Ich bin dankbar für diese Menschen. Und nach so vielen Jahren in der Begleitung dieser ganz besonderen Menschen wage ich heute nicht mehr zu sagen: Dies oder jenes hätte nicht passieren dürfen.
Photo by Josh Miller on Unsplash
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