Das Drumherum: Familie, Freunde und andere Katastrophen

 

Sie lebten im 1. Stock, direkt über ihrer eigenen Wohnung, die sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn gemeinsam bewohnte, in dem Haus, das SIE finanziert hatten. Von dort oben aus regierten sie alles, was sich innen und außen am Haus bewegte. SIE sind die Schwiegereltern, die Eltern ihres Mannes H., bestehend aus der Mutter S. und dem Vater W., der allerdings eher die Rolle des Erfüllungsgehilfen von S. spielt. 

 

Am Anfang war alles so praktisch. Sie waren ein junges Paar, recht schnell schwanger und von ihren Schwiegereltern kam das Angebot, auf dem Familiengrundstück zu bauen. P. hatte schon Bedenken, weil sie die dominante Art ihrer Schwiegermutter nicht mochte und spürte, dass ihr Mann nicht in der Lage war, einen gewissen Abstand zu seiner Mutter zu halten. Aber ein Haus, in dem ihr Sohn aufwachsen konnte, war einfach ein Traum für P., die aus sehr einfachen und ärmlichen Verhältnissen stammte. Also stimmte sie bald zu, vor allem auch, weil H. sie bestürmte und sie wusste, dass es sein sehnlichster Wunsch war, die ganze Familie zusammen zu halten. 

 

P. erkannte recht bald, dass sie sich in eine Falle hineinmanövriert hatte. Ihre Schwiegermutter S. führte ein freundliches und „samtiges Regiment“, wie P. das in der Psychologischen Beratung bei mir formulierte. Sie war eindeutig die „Frau im Haus“, die sich in alle Dinge einmischte und freundlich, aber bestimmt ihrer Schwiegertochter zeigte, wie sie die Dinge handhaben sollte: von der Erziehung ihres Sohnes bis zu jeder Kleinigkeit im Haushalt. P. hatte als Auszeit aus dieser so gutmeinenden Tyrannei nur ihren Halbtagesjob, in dem sie als Kaufmännische Angestellte in ein Milieu kam, in dem sie respektiert und für ihre Arbeit anerkannt wurde. Immer öfter kam es vor, dass sie länger im Büro blieb, zusätzliche Aufgaben übernahm und sogar die Fahrt nach Hause hinauszögerte. 

 

Das Verhältnis zu ihrem Mann wurde immer schlechter, vor allem nach einem großen Streit, den sie mit S. hatte. Sie hatte sich verbeten, dass diese ungefragt und einfach so fast zu jeder Tages- und Nachtzeit ihre Wohnung im Erdgeschoss des gemeinsamen Hauses betrat – angeblich, um nach ihrem Enkel zu schauen. P. verbat sich das und hoffte, dass ihr Mann sich auf ihre Seite stellen würde. Als H. das nicht tat, sondern sogar Verständnis für die Wünsche seiner Mutter zeigte und P. zum einlenken zu bewegen versuchte, rastete sie völlig aus und zog für einige Tage zu einer Freundin. Ohne ihren Sohn, der mittlerweile sehr an seinen Großeltern hing, bei denen er den Großteil des Tages ohnehin verbrachte. 

 

Mit dieser Ausgangssituation kam P. ins Coaching zu uns. Eigentlich wollte sie eine Paarberatung, aber ihr Mann war damit nicht einverstanden. Für ihn sei alles in bester Ordnung und P. solle sich doch nicht so anstellen, meinte er nach Angeben von P. sinngemäß. Wieder fühlte sie sich allein gelassen und wie ein Fremdkörper in einer Familie, die scheinbar auch ohne sie komplett und voll funktionsfähig war. 

 

Im Laufe der Arbeit mit mir wurde ihr klar, dass sie einen bereits verheirateten Mann geheiratet hatte. Ihr Mann war schlicht nicht aus der symbiotischen Bindung an seine Mutter herausgekommen, die nach wie vor die Nummer 1 – Frau in seinem Leben war. Er war vollkommen unfähig, ein Leben abseits der mütterlichen Einflusssphäre zu leben. Erich Fromm spricht in diesem Zusammenhang von einer „inzestuösen Symbiose“ und meint damit die lebenslang anhaltende Bindung an die Mutter, die eine schwere regressive Erkrankung des Menschen  sei, die seine Entwicklung behindere und verunmögliche, dass der Betroffene jemals in eine erwachsene und selbstbestimmte Haltung hineinwachsen könne. Das bedeutet natürlich auch, der er seinerseits keine erwachsene Beziehung zu einem anderen erwachsenen Geschlechtspartner zu führen imstande ist! Ist er doch noch ganz an seine Mutter als ausschließlicher Partnerin gebunden…

 

Jesus spricht in Matthaeus 19:5 von der Notwendigkeit, sich von seinen Eltern zu lösen, um eine Beziehung erfolgreich zu führen: „Darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen, und werden die zwei ein Fleisch sein.“ (Lutherbibel 1912) Ohne diese nicht nur äußerlich vollzogene (!) Loslösung kann ich keine Beziehung erfolgreich führen: Ich bin einfach nicht frei, sondern emotional an ein Elternteil gebunden (meist die Mutter; bei der Frau aber sehr oft auch der dominierend – abwesende Vater). Deswegen richtet sich die therapeutische Arbeit in einem solchen Fall nach entsprechend heftigem Leidensdruck – oft ausgelöst durch eine Trennung oder Scheidung – an der Arbeit am Inneren Kind aus, um die souveräne Entwicklung einer erwachsenen, unabhängigen und reifen Persönlichkeit zu ermöglichen. 

 

Wenn ich diese innere Unabhängigkeit erreicht habe spricht nichts dagegen, ein herzliches und nahes Verhältnis zu meinen Eltern auch mit dem neuen Partner gemeinsam zu pflegen! Ganz im Gegenteil! Aber alle Versuche eines vielleicht übergriffigen Einwirkens in meine Ehe oder eigene neue Familie hinein werde ich abwehren und fest an der Seite meines Partners stehen; nun gehört meine Loyalität ganz dem Menschen, der sich für ein Leben an meiner Seite entschieden hat. Das ist eine Entscheidung; sie wird leicht, nachdem ich meine eigene „Innere Familie“ gut versorgt und tief verstanden habe! Zusätzlich darf ich sie in meiner stetigen Achtsamkeit halten. Diese Form von Psychohygiene kommt nicht nur mir selbst und allen Menschen, mit denen ich Umgang pflege, zugute, sondern eben auch meinem Partner und dann unseren gemeinsamen Kindern. Im 24. Kapitel gehe ich auf die für sie positiven Folgen noch näher ein.

 

Lass mich bitte ganz kurz noch eine Familienform streifen, die aufgrund höherer Scheidungszahlen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zugenommen hat: Patchworkfamilien. Da es ganze Bücher zu diesem Thema gibt werde ich es hier in unserem Kontext kurz und knapp halten. 

 

Die Patchworkfamilie entsteht immer aus einem Scheitern heraus: Irgendwo ist da vorher was kaputt gegangen und das war immerhin eine ganze Familie. Das ist gar nicht so furchtbar und schlimm, wie sich das hier anhört und öfter bewertet wird, denn: Scheitern ist notwendiger Teil unseres Lebens und wichtig, damit Neues überhaupt entstehen kann. Patchworkfamilie kann also ganz wunderbar funktionieren, wenn ich das voraus-gegangene SCHEITERN akzeptiere, mir selbst und dem Expartner liebevoll vergebend nach all den nötigen Ablösungsprozessen begegne und es nachher nicht „besser“ machen will und damit mich und alle Involvierten unter einen Riesen-druck setze. Das Alte darf betrauert und aufgearbeitet sein, angenommen und internalisiert. Und es darf ihm ein systemischer Vorrang vor allem nachfolgenden gegeben werden, wenn es um die Kinder geht: Ist in der Ehe der Primat der Eltern füreinander wichtig für das Heranwachsen der Kinder inkl. der Einordnung der Kinder UNTER das Elternpaar dreht sich das Verhältnis in der Patchworkfamilie um: Damit das Kind vor Schäden in Bezug auf sein sich herausbildendes ICH bewahrt wird muss das in der Patchworkfamilie lebende Elternteil ihm den Vorrang vor dem neu-en Partner geben! Ein nur „ausgleichendes“ Handeln, wie es von vielen Patchworkeltern in dem Versuch, sowohl Kind wie neuen Partner gerecht zu werden, betrieben wird, schädigt das Kind und lässt es in seiner ohnehin schon desolaten Situation Schäden an seinem Selbstwertgefühl nehmen. 

 

Die Kommunikation in der Patchworkfamilie darf ehrlich sein. Sie darf es vor allem zulassen, dass auch unangenehme Gefühle zur Sprache kommen, dass Verletzungen offen betrauert wer-den können und Vergangenheit als etwas Existentes und Wichtiges im Leben der „neuen“ Familie seinen Platz hat. Im Idealfall wird der „alte“ Partner nicht nur im Leben des Kinder seinen Platz behalten und festigen, sondern auch im neuen Familienkonstrukt seinen respektierten und voll anerkannten Platz einnehmen. Natürlich wird dabei deutlich sein, dass zwischen den Expartnern selbst jede erotische Beziehung beendet ist und die Treue und Loyalität in der reinen Paarbeziehung dem neuen Partner gehört. 

Auch, wenn es sich um Freunde handelt? Um die beste Freundin, den Super-Kumpel? Auch, wenn ich die genialsten Freunde habe, die ich schon ganz lange kenne und mit denen ich durch dick und dünn gegangen bin? 

 

S. und E. sind schon seit zweieinhalb Jahren ein Paar. Vor einem halben Jahr sind die beiden zusammengezogen. E. ist für S. die Traumfrau, sexy, intelligent, mit einem tollen Job und er hätte eigentlich nie geglaubt, dass sie sich jemals für ihn interessieren würde. 

 

Trotzdem fühlt sich das Zusammenleben für ihn irgendwie komisch an. So, als ob sie eher nebeneinander her als miteinander zusammenleben würden. Ein Urlaub soll das verändern. S. schlägt als romantische Lösung Südfrankreich vor und E. stimmt zu. Damit es lustiger sei meint sie allerdings, sollten sie doch mal ihre Freunde fragen, ob nicht jemand mitfahren wolle. So könne man sich doch gemeinsam auch ein schönes Ferienhaus im alten Stil leisten und er könne ihre Freunde, auf die er dauernd eifersüchtig sei, endlich mal besser kennenlernen. 

 

S. stimmt halbherzig zu, hofft aber auf viel gemeinsame Zeit mit E. in Südfrankreich. Daraus wird allerdings nichts: Die Freunde, mit denen sich E. super versteht und die sie teilweise schon aus dem Sandkasten kennt, sind immer dabei. E. findet das lustig und reagiert sehr schroff und abweisend, als S. vorschlägt, man könne doch auch mal etwas allein zusammen machen. 

 

Wieder zurück realisiert S., wie er Jahre später in der Arbeit mit mir berichtet, dass E. nicht wirklich an einer tiefen und dauerhaften Beziehung mit ihm interessiert ist. Sie trennen sich und obwohl E. noch lange eine Traumfrau für S. bleibt wird er doch frei für eine Beziehung, die seinem Herzen ganz entspricht und auch eine Option auf Familiengründung beinhaltet, die E. immer abgelehnt hatte. 

 

Freunde? Klar! Natürlich sind sie wichtig und zwar vor allem gleichgeschlechtliche Freunde: Sowohl Mann wie Frau ziehen ihre spezifische Stärke und Kraft aus dem Zusammensein mit dem je eigenen Geschlecht. Das ist für beide eine wichtige Zeit und hier dürfen sie auch ruhig mal getrennte Wege gehen, um sich diese Power, diese Energie zu holen! Aber es gibt ein paar Regeln, die für die Stabilität der Beziehung wichtig sind: 

 

- Die Beziehung ist – außer in wirklichen Krisen-fällen – nicht Thema zwischen den Freunden: Vor allem nicht im negativen Sinn! Dein Freund, Deine Freundin, stehen (hoffentlich!) unbedingt zu Dir und werden keine Ratschläge geben, die der Beziehung als solcher und ihrer Stärkung wirklich guttun. 

- Du sprichst positiv über Deinen Partner, auch wenn Deine Freunde ihn oder sie unter Umständen nicht schätzen. 

- Du bleibst loyal – nicht was Deine Freunde wollen, denken oder meinen ist für Dich maßgeblich, sondern Deine eigene Meinung! Und danach erst mal die Deines Partners. 

- Dein Innerstes gehört zuerst Dir, dann Deinem Partner. Er sollte alles Wichtige von Dir wissen, lange bevor es Deine Freunde oder Deine Herkunftsfamilie erfahren. 

- Auch für Deine Zeit gilt diese Hierarchie: Zuallererst ist es Deine Zeit, die Du für Dich selbst gerne und oft nutzen darfst. Danach ist es Paarzeit; Freunde kommen erst hiernach. 

- Deine Freunde müssen keine gemeinsamen Freunde sein: Beides ist wichtig! Eine gute Paarfreundschaft kann Euch als Paar sehr guttun. 

 

An dem Thema Freunde oder Familie (bei manchen auch Tiere, Hobbies oder Sport) kannst Du sehr gut festmachen, wie Dein Beziehungsstatus WIRKLICH ist: Kommen Freunde oder Familie für Dich zuerst und erst anschließend Dein Partner bist Du nicht in einer Beziehung, sondern in einer Freundschaft – PLUS. Das ist ja okay, aber mach Dir das bitte ganz klar. 

 

 

Photo by Tyler Nix on Unsplash

 

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