Schon in unserer Verliebtheitsphase können wir mit unserem Partner in Streits geraten, die heftig und verletzend auf Dich wirken. Aber so richtig los geht es meistens erst danach. Erinnerst Du Dich? Wir rechnen die ersten sechs bis neun Monate der Verliebtheitsphase zu, die Langzeitbeziehungen in der Regel voraus geht. Danach beginnt die Zeit der „Ernüchterung“ und wir fangen an unseren Partner mit anderen, wesentlich kritischeren Augen zu sehen.
Meistens beginnen hier auch Auseinandersetzungen, die uns aufgrund ihrer Heftigkeit und Irrationalität erschrecken. Oft sind sie Deinerseits auch mit intensiven Verletzungsgefühlen verbunden, die Dich in tiefe Traurigkeit (der situativ depressive Rückzug kommt deutlich häufiger bei Frauen vor) oder heftige Wut (aggressive Abwehr und Sublimierung können wir eher bei Männern beobachten) versetzen. Du glaubst, Deine Welt geht kaputt und verstehst nichts mehr: Wie kann der doch eben noch so geliebte und liebende Partner „so etwas“ tun? Ist denn Eure Liebe gar nichts (mehr) wert, ein Irrtum, eine neurotische Verstrickung? Der Sinn einer Liebesbeziehung ist doch, zu lieben und geliebt zu werden!
Klar, eine Liebesziehung ist ein Geschenk und wir erfahren Liebe, Nähe und Geborgenheit. Über-wiegend sogar, wenn die Partnerwahl relativ bewusst war. Und doch ist das nicht der ganze Sinn einer intimen Beziehung, denn sie ist auch eine HEILENDE Instanz – ein Instrument, das unsere Schatten aufzeigt, um Licht hinzulassen, auf dass unsere Wunden geheilt werden. Wunden, die aus der Kindheit und Jugend stammen, was wir uns im nächsten Kapitel näher anschauen werden. Wunden, die unsere Seelen heilen wollen, denn sie hindern uns ganz am Leben teilzuhaben, zu partizipieren an allen Möglichkeiten, die uns offen stehen, wenn wir uns nicht selbst blockieren.
Der Streit in einer Beziehung ist nie Sinn-los und kann Dir eine Menge über Dich selbst zeigen. Er ist eine wunderbare Gelegenheit einander wirklich kennen zu lernen und sich selbst tiefer zu verstehen und anzunehmen. Er kann aber auch destruktiv werden, wenn wir uns einerseits in die Opfer-rolle flüchten und andererseits den Partner anklagen: Wie kann er nur so und so sein, wie kann er mir das nur antun, wieso ist er nicht …? Sei also aufmerksam, wenn Deine Konzentration und Achtsamkeit von Dir, Deinen Gefühlen, Bedürfnis-sen und Grenzen weg geht und sich dem Partner zuwendet.
Übrigens: Die Besprechung dieser Streits gehören nicht in die Kommunikation mit Freunden oder Freundinnen! Dabei besteht die Gefahr, dass wir die Psychodynamik aus unserer Beziehung heraus verlagern und an einem Ort besprechen, der uns nicht nur NICHT weiterbringt, sondern der auch zusätzliche Dynamiken in den Prozess mit einfließen lässt: Dein Freund, Deine Freundin hat ja seinerseits / ihrerseits Themen, wird Dich parteiisch beraten und den Prozess der Ver- und Entfremdung eher weitertreiben als abschwächen. Deswegen nimm bitte all Deinen Mut und Deine ganze Konfliktbereitschaft zusammen und besprich die Themen mit Deinem Partner! Wir werden uns noch genau anschauen, wie Du das am besten machst, so dass es zu einer konstruktiven Auseinandersetzung kommen kann.
Es geht bei den ersten Konflikten in der Partner-schaft auch um eine Weichenstellung, sozusagen um eine gemeinsam teilweise nonverbal festgelegte Strategie: Wie wollen wir mit Streitpunkten umgehen? Gehen wir ihnen unter allen Umständen aus dem Weg, versuchen wir aufkeimende Konfliktpunkte zu harmonisieren oder stellen wir uns ihnen, die einem oder beiden weh tun? Wie deuten wir Konflikte, wie bewerten wir sie? Positiv als Chance, dass die Sachen offen auf den Tisch kommen oder negativ als Anzeichen für eine doch nicht so gelungene (ein- oder gegenseitige) Partnerwahl? Hatte unsere Mutter, der Vater doch Recht, als sie uns vor dem neuen Partner gewarnt hatten? Schließlich ist es ja hier gar nicht harmonisch, sondern kracht in regelmäßigen Abständen!
Letztlich geht es darum, ob es uns schon früh gelingt, eine regelrechte Streitkultur zu entwickeln. Eingebettet in den Rahmen unserer Ehezeit können wir Streitpunkte sogar prophylaktisch erörtern, indem wir uns in diesen regelmäßigen Abständen darüber austauschen, was bei uns gut, was weniger gut läuft. Bitte auch in dieser Reihen-folge: Erst die guten Punkte – ehrlich, authentisch, aber auf jeden Fall positiv. Erst nach ihrer Nennung und gegenseitigen Würdigung werden kritische Themen angesprochen!
Apropos Kritik: Viele Paare scheinen nach einer gewissen Beziehungsdauer einen Wettstreit darin zu führen, wer den Partner am meisten kritisiert. Oder aber einer kritisiert munter und vollkommen ohne Selbstbeschränkung drauflos und der andere verstummt im Gegenzug immer mehr (übrigens oft passiv-aggressiv, es handelt sich bei dem Verstummenden also keinesfalls um ein hilf- und wehrloses Opfer, auch wenn es – bewusst gewählt – nach außen oft so scheinen mag!). Kurz, beide sind unzufrieden mit der Gesamtsituation, aber am meisten – natürlich unausgesprochen – mit sich selbst!
Damit es zu dieser Situation gar nicht erst kommt gibt es eine wunderbare Kommunikationsregel für Paare, die aber auch auf andere Bereiche anwendbar ist: Beruf, Familie, Erziehung etc. Erst wenn ich fünf ehrliche, positive Aussagen dem anderen gegenüber getroffen habe ist eine kritische Bemerkung erlaubt. Das Verhältnis noch mal als Zahl: 1:5 – eine Kritik auf fünf Komplimente, anerkennende, liebevolle oder zärtlich-lustvolle Aussagen! Und damit wird deutlich, dass die Gestaltung Eurer Beziehung – aller Beziehungen! - eine ENTSCHEIDUNG ist, kein verhängnisvolles Schicksal, das Eure Beziehung bestimmt. DU kannst den Er-folg Deiner Beziehung maßgeblich in die Hand nehmen und ihr zu einer langfristigen Chance verhelfen! Diese winzig kleine Regel kann mächtig dabei helfen.
Übung:
Wende die folgenden Gesetzmäßigkeiten auf Eure Streits oder Dauerkonflikte an. Mache diese Übung schriftlich und lege Dir dafür ein kleines Notizheft zu.
Die Spiegelgesetze
1. Spiegelgesetz
Alles, was mich am anderen stört, ärgert, aufregt oder traurig macht und ich dies an ihm ändern will, habe ich als Aspekt auch in mir selbst.
Alles, was ich am anderen kritisiere oder sogar bekämpfe und ich dies an ihm verändern will, kritisiere, bekämpfe und unterdrücke ich in Wahrheit in mir selbst und hätte es auch in mir gerne geändert.
2. Spiegelgesetz
Alles, was der andere an mir kritisiert, bekämpft und an mir verändern will, und ich mich deswegen verletzt oder angegriffen fühle, so betrifft es mich ebenso - ist dies in mir noch nicht richtig erlöst, meine gegenwärtige Persönlichkeit fühlt sich beleidigt, mein Ego ist noch stark, meine Selbsterkenntnis noch schwach.
3. Spiegelgesetz
Alles, was der andere an mir kritisiert und mir vorwirft, an mir ändern will und bekämpft und mich dies nicht berührt, ist sein eigenes Bild, sein eigener Charakter, seine eigenen Unzulänglichkeiten, die er auf mich projiziert.
4. Spiegelgesetz
Alles, was mir am anderen gefällt, was ich an ihm liebe, bin ich selbst, habe ich als Aspekt selbst in mir und liebe dies auch im anderen. Ich erkenne mich selbst im anderen - in diesen Aspekten sind wir eins.
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